In den dunklen Tiefen des Himeji-Schlosses, verborgen in einem geheimen Labyrinth von Räumen, lag eine kleine Kammer, die nur wenigen bekannt war. In dieser Kammer befand sich eine Sammlung von zehn exquisiten Tellern, die seit Generationen innerhalb der Shōgun-Familie weitergegeben worden waren. Jeder dieser Teller war von unschätzbarem Wert, gefertigt aus feinstem Porzellan und verziert mit kunstvollen Mustern und goldenen Akzenten. Doch ihre wahre Schönheit lag nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch in den Geschichten und Geheimnissen, die sie verbargen.
Unter den Dienern des Schlosses war Okiku, eine junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Ihre Aufgabe war es, die Teller zu pflegen und dafür zu sorgen, dass sie niemals beschädigt wurden. Okiku war bekannt für ihre Präzision und Hingabe, was sie bei ihrem Herrn, dem Samurai Aoyama, hoch angesehen machte. Doch ihre Tugend und Integrität weckten bei Aoyama auch ein stärkeres Interesse als bloße Bewunderung.
Eines Abends, als die Sonne hinter den Hügeln verschwunden war und das Schloss von der Stille der Nacht umhüllt wurde, trat Aoyama heimlich in die Kammer der Teller. Von Verlangen und Eifersucht getrieben, schmiedete er einen Plan, um Okiku in eine Falle zu locken. Er war überzeugt, dass sie ihm allein gehören sollte, und versteckte heimlich einen der kostbaren Teller.
Am nächsten Morgen, als Okiku die Teller zählen sollte, bemerkte sie entsetzt, dass nur neun Teller vorhanden waren. Ihre Augen weiteten sich vor Schock, als sie immer wieder die Teller durchzählte und immer dasselbe Ergebnis erhielt. Panik ergriff sie, als sie sich vorstellte, welche Konsequenzen es haben würde, wenn sie den fehlenden Teller nicht finden konnte.
Aoyama beobachtete von der Ferne und trat dann in die Kammer. Mit kalter und herausfordernder Stimme beschuldigte er Okiku des Diebstahls. Okiku, deren Herz vor Angst raste, beteuerte ihre Unschuld, doch Aoyama hatte bereits seinen Plan gefasst. Er bot ihr an, das Fehlen des Tellers zu übersehen, wenn sie ihm als Geliebte zur Verfügung stünde. Ihre Ablehnung verstärkte nur seine Besessenheit und seinen Zorn.
In einem Akt grausamer Brutalität ließ Aoyama seine Diener Okiku fesseln und über einen tiefen Brunnen hängen. Ihr verzweifeltes Geschrei erfüllte den Raum, während sie immer wieder hinuntergelassen und hochgezogen wurde. Der Boden des Brunnens war dunkel und trübe, und Okiku konnte nur hoffen, dass jemand ihre Notlage bemerken würde.
Als ihre Kräfte schwanden und ihr Schreien schwächer wurde, erstach Aoyama sie mit einem schnellen, entschlossenen Hieb. Ihr Körper fiel leblos in den Brunnen und verschwand im trüben Wasser.
In der folgenden Nacht, als der Mond durch die Fenster der Kammer schien und die Schatten der Vergangenheit an den Wänden tanzten, begann etwas Unheimliches zu geschehen. Aoyama, der sich in seinem Raum niedergelassen hatte, hörte ein seltsames Geräusch, das wie ein leises Zählen klang. Sein Herz klopfte schneller, als er das vertraute Murmeln vernahm: „Eins, zwei, drei…“
Der Klang kam aus dem Brunnen, und Aoyama verspürte eine unheimliche Kälte, die sich durch den Raum zog. Okikus Geist war zurückgekehrt und zählte immer wieder bis neun. Dann erklang ein herzzerreißender Schrei, der die Stille der Nacht durchbrach. Der Schrei war eine Mischung aus Schmerz und verzweifelter Hoffnung, als ob sie sich wünschte, dass jemand den fehlenden Teller finden würde.
Die Wochen vergingen, doch der Spuk hörte nicht auf. Die Zählungen und Schreie der zurückgekehrten Okiku erfüllten das Schloss mit einer düsteren Atmosphäre. Aoyama, der den Terror seiner Taten erlebte, versuchte verzweifelt, die unerklärlichen Ereignisse zu ignorieren, doch das Zählen und die Schreie kamen immer häufiger. Schließlich wusste er, dass der einzige Weg, um Frieden zu finden, darin bestand, sich seinem Schicksal zu stellen.
In der darauffolgenden Nacht, als der Mond erneut am Himmel stand, entschloss sich Aoyama, seinem Leben ein Ende zu setzen. Mit dem Gefühl, dass er sich seiner eigenen Verdammnis nicht entziehen konnte, beging er Seppuku und vereinigte sich auf diese Weise mit der Geisterwelt von Okiku.
Der Brunnen, in dem Okiku gefunden wurde, wurde von den Dorfbewohnern als verflucht betrachtet. Auch heute noch erzählt man die Geschichte von Okiku, und viele behaupten, dass ihre Geisterschreie noch immer in der Stille der Nacht widerhallen. Die Legende von Okiku bleibt ein kraftvolles Symbol für Rache und Gerechtigkeit, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.
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